Mandanteninformation | 02.06.25
Neue Wege aus der AGB-Kontrolle?
Der aktuelle Koalitionsvertrag sieht eine mögliche Reform des AGB-Rechts im B2B-Bereich vor. Gleichzeitig hat der Bundesgerichtshof zur Wirksamkeit von Schiedsvereinbarungen Stellung genommen. Diese Entwicklungen werfen neue Fragen zur Vertragsgestaltung im unternehmerischen Rechtsverkehr auf.
Der neue Koalitionsvertrag weckt neue Erwartungen, dass die seit langem geforderte Reform des AGB-Rechts im B2B-Rechtsverkehr endlich in Angriff genommen wird. Zugleich hat der Bundesgerichtshof kürzlich entschieden, dass der Ausschluss der AGB-Kontrolle in Verbindung mit der Vereinbarung eines Schiedsverfahrens die Wirksamkeit der Schiedsvereinbarung nicht in Frage stellt. Ausgehend von diesen beiden Entwicklungen beleuchten wir neue Möglichkeiten, die Bindung an das strenge deutsche AGB-Recht im Wirtschaftsverkehr zwischen Unternehmen abzuschwächen.
Einleitung
Das deutsche Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB), das sich mit Vertragsbestandteilen beschäftigt, die nach dem Willen einer Partei für alle ihre Geschäftsverbindungen gelten sollen und diese daher nicht zur Disposition stellt, begegnet seit geraumer Zeit Kritik. Mit seiner strengen Auslegung schränkt die Rechtsprechung die Vertragsfreiheit auch im unternehmerischen Rechtsverkehr (sog. „B2B“-Verträge) stark ein, indem sie Abweichungen von gesetzlichen Vorgaben nur beschränkt zulässt. Insbesondere im unternehmerischen und grenzüberschreitenden Rechtsverkehr werden diese Kontrollmechanismen zu Fallstricken, die zur Unattraktivität des deutschen Rechts im internationalen Vergleich führt, weil die Parteien nicht mit letzter Sicherheit sagen können, ob ihre Vereinbarungen im Streitfall vor Gericht wirksam sein werden. Nicht selten wählen Unternehmen angesichts dieser Restunsicherheit ausländisches Recht trotz geschäftlicher Bezüge zu Deutschland, was indes seinerseits Probleme bergen kann. Eine aktuelle Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) stärkt nun eine Alternative zur Flucht in ausländische Rechtsordnungen.
Problematik aktueller AGB-Kontrolle durch die Rechtsprechung
Im derzeit geltenden AGB-Recht begegnen Unternehmen im B2B-Verkehr zweierlei Problemen:
Zum einen stellt sich die Frage, wann AGB vorliegen und damit die entsprechenden Vorschriften anzuwenden sind. AGB zeichnen sich dadurch aus, dass sie nicht ausgehandelt wurden. Der BGH stellt hohe Anforderungen an ein solches Aushandeln, so dass häufig vom Vorliegen von AGB ausgegangen wird. Insbesondere wenn über einen Vertrag in seiner Gesamtheit verhandelt wird, besteht die Gefahr, dass gleichwohl hinsichtlich einzelner Vertragsklauseln, die nicht ausdrücklich zur Sprache kamen, die AGB-Qualität bejaht wird.
Ein zweites, hieran anknüpfendes Problem stellt sich mit Blick auf die Inhaltskontrolle, der AGB unterzogen werden. Die Inhaltskontrolle ist zwischen Unternehmen zwar nach § 310 Abs. 4 BGB etwas zurückgenommen, gleichwohl bleibt eine Überprüfung durch die Gerichte möglich. Die konkreten Maßstäbe für diese gerichtliche Prüfung sind in der Praxis oftmals unklar, da sich die Rechtsprechung vor allem mit Verbraucherverträgen befasst, für die sehr strenge Wirksamkeitsanforderungen gelten. Inwiefern diese gesetzlichen Anforderungen im Einzelfall auch auf den unternehmerischen Rechtsverkehr übertragbar sind, ist mangels klarer Rechtsprechungsvorgaben vielfach streitig. Im Geschäftsverkehr besteht daher das Risiko, dass häufig die besonders wirtschaftlich wichtigen Haftungsbeschränkungen und -ausschlüsse an der AGB-Kontrolle scheitern. In einem umfassenden Regelwerk Haftungsausschlüsse oder andere Bestimmungen, die eine Seite begünstigen, festzulegen, begegnet im unternehmerischen Verkehr daher großen Schwierigkeiten.
Was aus Sicht des Verbraucherschutzes noch nachvollziehbar erscheinen mag, erscheint daher im unternehmerischen Geschäftsverkehr bedenklich, da es die Vertragsfreiheit und Rechtssicherheit stark einschränkt. Dies ist insbesondere mit Blick darauf, dass das deutsche AGB-Recht schon gegenwärtig von der geringeren Schutzwürdigkeit des Unternehmers ausgeht, inkonsequent. Viele erkennen in der potentiellen strengen AGB-Kontrolle auch im B2B-Rechtsverkehr einen klaren Wettbewerbsnachteil des deutschen Rechts gegenüber anderen Rechtsordnungen, die ein vergleichbares Schutzbedürfnis zwischen Unternehmern gerade nicht annehmen.
Reformbestrebungen
Unter dem allgemeinen Vorzeichen der Förderung Deutschlands als Wirtschaftsstandort kündigt der Koalitionsvertrag auf S. 87, Rz. 2783 ff. nunmehr eine Reform des AGB-Rechts an.
„Wir werden das Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) reformieren, um sicherzustellen, dass sich große Kapitalgesellschaften nach § 267 Absatz 3 HGB, wenn sie untereinander Verträge unter Verwendung der AGB schließen, darauf verlassen können, dass das im Rahmen der Privatautonomie Vereinbarte auch von den Gerichten anerkannt wird.“
Inhaltlich denkbar wäre eine Anlehnung an die Gestaltungen der deutschsprachigen Nachbarrechtsordnungen, die teils erweiterte M Du bistöglichkeiten bei Haftungsbeschränkung und -ausschluss einräumen (so z.B. in Österreich, wo bei der Inhaltskontrolle beachtet wird, ob zwischen den Parteien ein Ungleichgewicht bestand), teils vollständig auf eine speziell AGB-rechtliche Inhaltskontrolle im unternehmerischen Verkehr verzichten (so z.B. in der Schweiz, wo nur eine allgemeine, vertragsrechtliche „Ungewöhnlichkeitskontrolle“ durchgeführt wird).
Aktuelle Möglichkeiten: Geringere Kontrolle durch Schiedsvereinbarung
Eine zeitnahe Änderung der Rechtslage ist allerdings nicht zu erwarten, so dass bereits jetzt bestehende Gestaltungsmöglichkeiten auch weiterhin eine große praktische Bedeutung haben. Einen der seit Jahren diskutierten Lösungswege hat der BGH kürzlich jedenfalls im Grundsatz für zulässig erachtet. Mit Beschluss vom 9. Januar 2025 (Az.: I ZB 48/24) hatte sich das höchste deutsche Zivilgericht mit der seit einigen Jahren zunehmenden Kombination aus einer Schiedsvereinbarung und der Wahl deutschen Rechts mit Ausnahme des AGB-Rechts zu beschäftigen. Diese Gestaltungsvariante macht davon Gebrauch, dass für Schiedsgerichte großzügigere Rechtswahlmöglichkeiten gelten und – anders als im staatlichen Verfahren – auch nur einzelne Teile einer Rechtsordnung (oder gar ein ganz nichtstaatliches Recht) gewählt werden können. Lange Zeit war indes umstritten, ob das zulässig ist. Der BGH hat nun entschieden, dass jedenfalls die Schiedsvereinbarung durch entsprechende Vertragsregelungen nicht unwirksam wird. Zugleich hat er ausdrücklich offengelassen, ob die Wirksamkeit dieser Rechtswahl ebenfalls anzuerkennen ist.
Inhaltlich beschäftigt sich der Beschluss des BGH mit der Frage nach der Wirksamkeit einer Schiedsvereinbarung zwischen zwei Unternehmern. Die Antragstellerin in diesem Verfahren vertrat die Auffassung, dass für den von ihr geltend gemachten Zahlungsanspruch staatliche Gerichte zuständig seien und stellte einen Antrag auf Feststellung der Unzulässigkeit des Schiedsverfahrens. Die Schiedsvereinbarung, die im Vertrag getroffen worden war, sei unwirksam. Dies stützte die Antragstellerin nicht auf die Schiedsvereinbarung selbst, sondern auf die Wechselwirkung mit einer ebenfalls vereinbarten Rechtswahlvereinbarung. Diese Rechtswahlklausel sah vor, dass der Vertrag selbst deutschem Recht unter Ausschluss des AGB-Rechts unterliegen sollte. Die Antragstellerin argumentierte nun, dass diese Rechtswahl unwirksam sei, was wiederum die Schiedsvereinbarung in Mitleidenschaft ziehe: Der Umstand, dass ein Schiedsgericht womöglich die Unwirksamkeit der Rechtswahlvereinbarung nicht bejahe und die Antragstellerin deshalb in ihrer Rechtsposition beeinträchtige, führe zur Unwirksamkeit der Schiedsvereinbarung. Die Antragstellerin befürchtete in der Sache, dass das Schiedsgericht, anders als ein staatliches Gericht, keine AGB-Prüfung vornehmen werde, nach der eine enthaltene Vertragsstrafe womöglich unwirksam wäre.
Dem traten sowohl das Kammergericht als Vorinstanz als auch der BGH entgegen. Beide Gerichte haben entschieden, dass die Schiedsvereinbarung getrennt von der Rechtswahl zu beurteilen ist. Der BGH stellte zunächst klar, dass die Vereinbarung der Zuständigkeit eines Schiedsgerichts für sich betrachtet keine Benachteiligung einer Partei darstellt.
Hieran ändere sich – und hier liegt der Kern der Entscheidung – auch nichts, wenn zu erwarten ist, dass das Schiedsgericht mit Blick auf die Wirksamkeit der materiellen Vertragsklausel anders als ein staatliches Gericht, und zwar zum Nachteil der Antragstellerin, entscheiden wird.
Der BGH lässt mangels Entscheidungserheblichkeit im konkreten Fall offen, ob der Ausschluss des deutschen AGB-Rechts in der Rechtswahlklausel wirksam ist, stellt aber fest, dass die Schiedsklausel hiervon unabhängig ist. Die Trennung zwischen Schiedsklausel und Rechtswahlklausel gelte sowohl dann, wenn die Schiedsklausel Teil eines AGB-Regelwerks sei, als auch dann, wenn es sich um individualvertraglich vereinbarte Regelungen handele. In beiden Fällen sei den Vertragsparteien regelmäßig an der Wirksamkeit der Vertragsregelungen im Übrigen, hier der Schiedsregelung, gelegen, auch wenn eine andere vertragliche Regelung, hier die Rechtswahl, womöglich nichtig sei. Etwas anderes könne sich nur dann ergeben, wenn zu erkennen sei, dass die Parteien die Wirksamkeit der Rechtswahl und die Schiedsvereinbarung miteinander verknüpfen wollten. Dies verneinte der BGH im konkreten Fall, obwohl die Abwahl des AGB-Rechts im Vertrag eine Unterklausel unter der Vereinbarung der Schiedsgerichtszuständigkeit darstellte, wodurch eine optische Nähe zur Schiedsvereinbarung gegeben war. Dass die Parteien eine Verknüpfung nicht wollten, ergab sich nach Ansicht des BGH insbesondere aus der Aufnahme einer klassischen salvatorischen Klausel am Ende des Vertragswerks.
Zusammengefasst schafft die Entscheidung des BGH Rechtssicherheit dahingehend, dass die Abwahl von AGB-Recht in Kombination mit der Vereinbarung der Zuständigkeit eines Schiedsgerichts grundsätzlich möglich ist. Auch eine (potentiell) unwirksame Rechtswahl beeinträchtigt die Zuständigkeit des Schiedsgerichts nicht. Der BGH betont indes, dass das Schiedsgericht seinerseits eine eigenständige Entscheidung über die Wirksamkeit der vertraglichen Regelungen, im Fall also die Vereinbarung der Vertragsstrafe, trifft. Wegen § 1051 Abs. 1 ZPO hat das Schiedsgericht hierbei das von den Parteien gewählte Recht anzuwenden, wobei Vertragsparteien bei der Rechtswahl mehr Möglichkeiten haben als vor staatlichen Gerichten. Die Beteiligten können daher den Kontrollmaßstab des Schiedsgerichts stärker beeinflussen. Ferner weist der BGH darauf hin, dass ein Schiedsspruch der staatlichen Kontrolle immerhin dahingehend unterliegt, dass er bei Verstoß gegen die öffentliche Ordnung (ordre public) aufgehoben werden kann. Es ist aber herauszustellen, dass im Rahmen einer solchen Kontrolle der Schiedsspruch insgesamt kontrolliert wird, so dass an einen Verstoß gegen die öffentliche Ordnung hohe Anforderungen gestellt werden.
Damit ist festzuhalten: Eine Rechtswahl deutschen Rechts unter Abwahl des AGB-Rechts kann daher mit der Vereinbarung der Zuständigkeit eines Schiedsgerichts kombiniert werden, ohne dass die Schiedsbindung dadurch in Frage gestellt wird. Um Rechtsunsicherheit bei der Frage der Trennbarkeit von Rechtswahl und Schiedsvereinbarung möglichst zu vermeiden, sollten, anders als in dem vom BGH entschiedenen Fall, allerdings am besten schon die beiden Regelungen – Schiedsklausel und Rechtswahlklausel – optisch getrennt werden. Die einschlägigen Schiedsinstitutionen halten dazu Musterklauseln bereit, die mit wenig Aufwand auszufüllen sind. Zu empfehlen ist ferner die Aufnahme einer salvatorischen Klausel, die bei Teilnichtigkeit den Willen zur Wirksamkeit im Übrigen zum Ausdruck bringt.
Fazit
Bis die versprochene Neuregelung des AGB-Rechts aus dem Koalitionsvertrag umgesetzt wird, schafft die Entscheidung des BGH für die Vertragsgestaltung und Praxis gewisse Sicherheit. Statt den Sprung in eine jedenfalls für deutsche Parteien potentiell unbekannte Rechtsordnung zu wagen, kann ein nichtstaatliches Forum unter Beibehaltung des gewohnten materiellen Rechts gewählt werden.
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