Mandanteninformation | 27.05.25
Verzinsung auf Kapitalertragsteuer nach EU-Recht
Erstattungsbeträge zur Kapitalertragsteuer sind nach dem Unionsrecht zu verzinsen, wenn dem ausländischen Anteilseigner unter Verstoß gegen das Unionsrecht die Erstattung von Kapitalertragsteuern verweigert wird.
Nach nationalem Recht ist eine Verzinsung von Abzugs- und Quellensteuern, wie der Kapitalertragsteuer auf Gewinnausschüttungen, grundsätzlich ausgeschlossen. Der BFH (VIII R 32/21) hat nun bestätigt, dass eine Verzinsung von Erstattungsbeträgen zur Kapitalertragsteuer aufgrund Unionsrecht auch im Erstattungsverfahren beantragt werden kann. Dies betrifft Gewinnausschüttungen an ausländische Anteilseigner, für die zu Unrecht keine Freistellungsbescheinigung erteilt wurde oder die Erstattung länger als drei Monate nach Antragstellung nicht ausgezahlt wurde. Der Zinssatz beträgt 6% p.a.
Der Sachverhalt
Die Klägerin, eine österreichische Kapitalgesellschaft, war an einer deutschen AG beteiligt, die bei mehreren Gewinnausschüttungen Kapitalertragsteuer in den Jahren 2007 bis 2011 einbehielt und abführte.
Die Erteilung einer Freistellungsbescheinigung war der Klägerin zunächst verweigert worden. Die dagegen erhobenen Einsprüche ruhten bis zum Abschluss der Musterverfahren beim EuGH (Deister Holding C-504/16 u.a.). Nach Ergehen der Entscheidungen im Dezember 2017 erstattete das BZSt die Kapitalertragsteuer.
Den Antrag der Klägerin auf Festsetzung von Zinsen lehnte das BZSt mit Verweis auf laufende Erörterungen auf Bund-Länder-Ebene zu diesem Thema mit Bescheid vom Oktober 2018 ab.
Im Juli 2020 erhob die Klägerin Untätigkeitsklage, mit der sie unter Aufhebung der Ablehnungsbescheids die Verpflichtung des BZSt zur Festsetzung von Erstattungszinsen begehrte.
Das FG gab der Klage in größerem Umfang statt. Im Revisionsverfahren gewährte der BFH einen Verzinsungsanspruch in weiterem Umfang aufgrund Unionsrecht.
Wegen der insoweit eindeutigen Unionsrechtslage auf der Grundlage der Rechtsprechung des EuGH hielt der BFH auch eine Vorlage an den EuGH nach Art. 267 Abs. 3 AEUV für nicht erforderlich.
Voraussetzungen für die Anwendung des Verzinsungsanspruchs nach Unionsrecht
Neben der Grundvoraussetzung eines unter Verstoß gegen Unionsrecht erlittenen Liquiditätsnachteils richten sich die weiteren Voraussetzungen für die Bestimmung des konkreten Verzinsungsanspruchs nach dem nationalen Steuerrecht. Freilich sind dabei die unionsrechtlichen Grundsätze der Äquivalenz und Effektivität zu berücksichtigen.
Anspruchsgrundlage
Anspruchsgrundlage ist der unionsrechtliche Grundsatz, wonach infolge eines Verstoßes gegen die Vorschriften des Unionsrechts zu erstattende Beträge zu verzinsen sind und den der EuGH in mehreren Entscheidungen richterrechtlich geprägt und fortentwickelt hat (vgl. EuGH, Urt. Vom 18. Januar 2017, C-365/15 – Wortmann).
Dabei liegt ein Verstoß gegen Unionsrecht auch in einer (einfachen) Verletzung gültiger unionsrechtlicher Vorschriften durch eine Verwaltungsbehörde vor. Diese Verletzung liegt nicht erst dann vor, nachdem festgestellt wird, dass eine nationale Vorschrift wegen Verstoßes gegen Unionsrecht unangewendet bleiben muss.
Zinsperiode
Der Zinslauf beginnt ab dem Zeitpunkt des Eingangs des Erstattungsantrages zuzüglich einer typisierenden Bearbeitungszeit von 3 Monaten (analog § 50d Abs. 2 S. 6, 7 EStG a.F.; heute: § 50c Abs. 2 S. 6 EStG). Der EuGH hatte entschieden, dass – je nach Lage des Falls - der Gesamtzeitraum zwischen dem Tag der Entrichtung der Steuer und dem Tag der Erstattung zu verzinsen sei (EuGH, v. 28.4.2022 – C-415/20). Daher ist es empfehlenswert, diesen Zeitraum möglichst kurz zu halten und den Erstattungsantrag sofort zu stellen.
Der zwischen Einbehalt der Kapitalertragsteuer und dem Tag der Antragstellung erlittene Liquiditätsnachteil könne hingegen nicht kausal auf einen Unionsrechtsverstoß zurückgeführt werden und ist daher nicht erstattungsfähig.
Der Zinslauf beginnt erst mit Eingang des Erstattungsantrages – nicht schon mit dem Einbehalt der Kapitalertragsteuer. Der Erstattungsantrag sollte daher unmittelbar nach der Abführung der Kapitalertragsteuer gestellt werden.
Die Dauer des Zinslaufs ist taggenau zu ermitteln; es sind nicht nur volle Zinsmonate zu berücksichtigen.
Anwendbarer Zinssatz
Der Zinssatz bestimmt sich nach § 238 Abs. 1 S. 1 AO und beträgt derzeit 0,5% pro Monat (6 % p.a.).
Verfahren zur Geltendmachung des Zinsanspruchs
Es ist nicht erforderlich, diesen Anspruch im Klagewege zu verfolgen. Auch die Abwehr des Unionsrechtsverstoßes im Rahmen eines Einspruchsverfahrens genügt. Gleichwohl besteht immer häufiger die Veranlassung zur Erhebung einer Untätigkeitsklage aufgrund der überlangen Verfahrensdauern des BZSt.
Das vorherrschende zweigeteilte Verfahren eines Einbehalts von Kapitalertragsteuer im ersten Schritt und der nachfolgenden Beantragung einer Erstattung ist unionsrechtskonform: Die zunächst erfolgte Abführung der Kapitalertragsteuer begründete den Rechtsgrund für die weitere Einbehaltung der Steuerbeträge; erst der auf die Erstattung gerichtete Freistellungsbescheid, beseitigt diesen Rechtsgrund wieder.
Frist zur Geltendmachung
Der Erstattungsantrag muss innerhalb von 4 Jahren gestellt werden (§ 50c Abs. 3 S. 2 EStG). Die Frist beginnt mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Kapitalerträge oder Vergütungen bezogen worden sind und endet nicht vor Ablauf eines Jahres seit dem Zeitpunkt der Entrichtung der Steuer und nicht vor Ablauf der im einschlägigen DBA vorgesehenen Frist. Es sind daher zum heutigen Tag noch Erstattungsanträge für seit dem 1. Januar 2021 bezogene Gewinnausschüttungen zulässig.
Erstattungsanträge sind grundsätzlich vor Ablauf der 4-Jahres-Frist zu stellen. Im Jahr 2025 sind daher noch Anträge auf Erstattung von Kapitalertragsteuer und deren Verzinsung für seit dem 1. Januar 2021 bezogene Gewinnausschüttungen möglich.
Anwendung auch auf verdeckte Gewinnausschüttungen
Im grenzüberschreitenden Sachverhalt werden auch im Fall von verdeckten Gewinnausschüttungen Kapitalertragsteuern fällig und bei Aufdeckung im Rahmen der Betriebsprüfung festgesetzt.
Soweit die Voraussetzungen der Mutter-Tochter-Richtlinie oder des einschlägigen DBA auf (teilweise) Erstattung vorliegen, wird auf entsprechenden Antrag hin diese Kapitalertragsteuer erstattet. Die nationalen Anti-Treaty-Shopping-Vorschriften nach § 50d Abs. 3 EStG sind zu berücksichtigen. Ein sich darauf ergebender Erstattungsanspruch ist ebenso verzinsungsfähig wie bei offenen Gewinnausschüttungen.
Auch Ansprüche auf Erstattung von Kapitalertragsteuer im Hinblick auf verdeckte Gewinnausschüttungen sind verzinsungsfähig.
Anwendung auf EU und Nicht-EU-Gesellschaften
Bezieht sich der Verstoß auf unionsrechtliche Vorschriften, die auch für Drittstaatengesellschaften gelten, insbesondere auf Verstöße gegen die Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 63 AEUV), können auch Nicht-EU-Gesellschaften für ihre Ansprüche auf Erstattung von Kapitalertragsteuer geltend machen.
Aktuelle Bearbeitungsdauer beim BZSt
Am 2. April 2024 veröffentlichte der Bundestag die Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der CDU/CSU-Fraktion, u.a. zu der Frage der aktuellen Bearbeitungsdauern beim BZSt im Entlastungsverfahren für Abzugsteuern (BT-Drs 20/10898). Im Freistellungsverfahren beträgt die Bearbeitungszeit im statistischen Durchschnitt 480 Tage, während des Erstattungsverfahren 615 Tage dauert.
Die Bearbeitungsdauer im Erstattungsverfahren dürfte sich eher noch verlängern, da in den Jahren 2020 bis 2023 den neu eingegangen Erstattungsanträgen jeweils eine deutlich niedrigere Zahl an Erledigungen gegenüberstand (z.B. im Jahr 2023: 35.411 Eingänge, 13.818 Erledigungen).
Der BFH führt daher in seiner Pressemitteilung zur Entscheidung VIII R 32/21 aus, dass die „Entscheidung eine beträchtliche finanzielle Tragweite für den Fiskus haben [dürfte].“
Zusammenfassung und Empfehlung
Der unionsrechtliche Verzinsungsanspruch stellt eine Kompensation für die Nichtverfügbarkeit eines Geldbetrages dar und soll insofern einen erlittenen Liquiditätsnachteil ausgleichen, der auf einen Verstoß gegen Unionsrecht beruht.
Es sollten alle Anträge auf Erstattung in Bezug auf von inländischen Kapitalgesellschaften durch eine ausländische Gesellschaft bezogene Gewinnausschüttungen seit dem 1. Januar 2021 geprüft werden.
Darüber hinaus sollten alle Festsetzungen von Kapitalertragsteuern auf verdeckte Gewinnausschüttungen von inländischen Kapitalgesellschaften an den ausländischen Gesellschafter identifiziert werden.
Es sind dann Anträge auf Erstattung dieser einbehaltenen Kapitalertragsteuern einschließlich eines Antrages auf Verzinsung zu stellen. Erfolgt die Bearbeitung und Auszahlung der beantragten Erstattung vor Ablauf von drei Monaten seit Antragstellung, scheidet eine Verzinsung aus.
Bei darüber hinaus gehenden Bearbeitungszeiten erfolgt eine taggenaue Ermittlung des Zinszahlungszeitraums bis zum Tag der tatsächlichen Auszahlung unter Berücksichtigung eines Zinssatzes von 6% p.a.
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Dr. Hans-Georg Berg