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Der Referentenentwurf zur Reform des Kapitalanleger Musterverfahrensgesetzes

Das Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz (KapMuG) trat in seiner Ursprungsfassung im Jahr 2005 in Kraft und wurde zuletzt im Jahr 2012 reformiert. Es gilt derzeit befristet bis zum 31. August 2024. Das Bundesministerium der Justiz hat am 28. Dezember 2023 einen Referentenentwurf für ein reformiertes KapMuG veröffentlicht. Zentrales Anliegen des Referentenentwurfs ist die Verfahrensbeschleunigung.

Hintergrund der Einführung des KapMuG im Jahr 2005 war die Flut von Einzelklagen von Anlegern im Zusammenhang mit dem dritten Börsengang der Deutschen Telekom und die dadurch verursachte Überlastung der Gerichte. Das KapMuG dient dazu, die sich in mehreren Individualklageverfahren vor den Landgerichten gleichermaßen stellenden Tatsachen- oder Rechtsfragen in einem einheitlichen Verfahren vor dem Oberlandesgericht zu verhandeln und zu entscheiden. Im Anschluss an den Musterentscheid werden die einzelnen Klagen vor den Landgerichten auf Grundlage des Musterentscheids zu Ende geführt. Diese Arbeitsteilung ermöglicht – jedenfalls im Prinzip – eine effiziente Bewältigung zahlreicher gleichgelagerter Prozesse. In der bisherigen Praxis haben sich jedoch zahlreiche Musterverfahren als ausgesprochen langwierig und ineffizient erwiesen. Die bestehenden Defizite des KapMuG möchte der Gesetzgeber nun durch eine Gesetzesreform beheben.

I. Regelungsmodell des bisherigen KapMuG

Die durch fehlerhafte Kapitalmarktinformationen, z.B. unterlassene oder unwahre Ad-hoc-Meldungen, verursachten Masseschäden können nur schwer in Einzelprozessen behandelt werden. Daher ermöglicht es das KapMuG, die in zahlreichen Einzelverfahren aufgeworfenen Sach- und Rechtsfragen in einem Musterverfahren verbindlich zu klären.

Der Musterprozess nach dem KapMuG dient dazu, in einer einzigen Tatsacheninstanz vor dem Oberlandesgericht (OLG) sämtliche verallgemeinerungsfähigen Sach- und Rechtsfragen in Form von Feststellungszielen verbindlich zu klären. Ein solches Musterverfahren wird nicht durch eine individuelle Klägerpartei vor dem Landgericht, sondern durch einen Vorlagebeschluss des Landgerichts eingeleitet. Während der Dauer des Musterverfahrens sind dann alle anhängigen Einzelverfahren von Amts wegen auszusetzen, sofern die Entscheidung von den Feststellungszielen abhängt (§ 8 KapMuG).

Der vom OLG zu erlassende Musterentscheid entfaltet Bindungswirkung für alle ausgesetzten Verfahren, in denen anschließend nur noch über die individuellen Schadensfragen zu entscheiden ist.

Das OLG muss sich nur mit den im Vorlagebeschluss enthaltenen Feststellungszielen befassen, während die Prozessgerichte sich zunächst auf die Prüfung der allgemeinen Prozessvoraussetzungen und die Frage der Vorgreiflichkeit im Rahmen der Aussetzungsentscheidung beschränken können. Eine Prüfung der individuellen Anspruchsvoraussetzungen und -einwendungen findet erst nach dem Musterverfahren statt, sofern im Musterentscheid die Haftungsvoraussetzungen grundsätzlich bejaht werden. Andernfalls sind die Einzelklagen umgehend abzuweisen.

Die in den letzten Jahren geführten Musterverfahren nach dem KapMuG haben gezeigt, dass das KapMuG Modell im Grundsatz ein geeignetes Instrument des kollektiven Rechtsschutzes ist. Dennoch haben sich in der Praxis auch immer wieder erhebliche Probleme bei der Durchführung von kapitalmarktrechtlichen Massenverfahren ergeben. Der Hauptkritikpunkt ist die oft sehr lange Verfahrensdauer. So kann durchaus über ein Jahr von der Stellung eines Musterverfahrensantrags im Einzelverfahren bis zum Beginn des eigentlichen Musterverfahrens vergehen. Des Weiteren stellt die Vielzahl der Verfahrensbeteiligten die Gerichte oftmals vor große Herausforderungen.

Die im Referentenentwurf angestrebte Verfahrensbeschleunigung soll u.a. durch eine Reduzierung des Prozessstoffs, die Stärkung des OLG sowie eine Reduzierung der Beteiligten am Musterverfahren erreicht werden.

II. Maßnahmen zur Verfahrensbeschleunigung

Das Prozessgericht soll künftig Musterverfahrensanträge binnen zwei – statt sechs – Monaten öffentlich bekanntmachen (§ 4 Abs. 1 KapMuG-RefE; bisher § 3 Abs. 3 KapMuG). Dadurch soll der Verfahrensabschnitt bis zur Eröffnung des Musterverfahrens beschleunigt werden (RefE, S. 29). Entsprechend verkürzt sich auch die Frist zur Stellungnahme des Antragsgegners.

Den Vorlagebeschluss hat das Prozessgericht bereits dann zu erlassen, wenn das Quorum von zehn gleichgerichteten Musterverfahrensanträgen erreicht ist (§ 7 Abs. 1 KapMuG-RefE). Es muss nicht mehr, wie bisher, sechs Monate ab Eingang des ersten Musterverfahrensantrags abwarten, bevor es prüfen kann, ob das erforderliche Quorum erreicht wurde. Dadurch soll der Beginn des Musterverfahrens beim OLG beschleunigt werden (RefE, S. 30).

Als Ausgleich für die Beschleunigung sieht § 11 KapMuG-RefE die neu geschaffene Möglichkeit zur einmaligen Erweiterung des Musterverfahrens in sachlicher und persönlicher Hinsicht vor (dazu sogleich näher unten IV.). Gemäß § 8 KapMuG-RefE sind ab Erlass des Vorlagebeschlusses weitere Musterverfahrensanträge unzulässig. Bisher gilt dies nur für die Einleitung weiterer Musterverfahren (§ 7 KapMuG). Gepaart mit der einmaligen Erweiterung dient dies dazu, die Teilnehmerzahl im Musterverfahren gering zu halten, was ebenfalls der Beschleunigung dienen soll (RefE, S. 31 f.).

III. Stärkung der Position des Oberlandesgerichts

Das OLG ist im Vergleich zur derzeitigen Rechtslage nicht mehr an einen Vorlagebeschluss des Landgerichts gebunden, sondern erlässt einen eigenen Eröffnungsbeschluss (§ 10 KapMuG-RefE). Dabei bestimmt das OLG selbst die Feststellungsziele nach billigem Ermessen und stellt den zugrundeliegenden Lebenssachverhalt dar. Die Möglichkeit des OLG, so den Streitgegenstand zu bestimmen, soll eine effiziente Verfahrensführung ermöglichen (RefE, S. 32). Dies ist zu begrüßen, da die praktische Erfahrung gezeigt hat, dass sich die Prozessgerichte mitunter schwertun, nicht zielführende und damit unzulässige Musterverfahrensanträge als solche zu identifizieren und abzuweisen, was zu einer inhaltlichen Überfrachtung des Vorlagebeschlusses (und damit des Musterverfahrens) mit rechtlich unerheblichen Feststellungszielen führt. Solche verfehlten Vorlagebeschlüsse erschweren regelmäßig die effiziente Durchführung des Musterverfahrens und führen dazu, dass abweisungsreife Klagen unter Hinweis auf ein eigentlich unzulässiges Feststellungsziel ausgesetzt werden.

Nach § 10 Abs. 5 KapMuG-RefE soll das OLG im Interesse eines zügigen Beginns des Musterverfahrens innerhalb von drei Monaten nach Bekanntgabe des Vorlagebeschlusses über die Eröffnung entscheiden (vgl. auch RefE, S. 35). Verfahren, die nicht oder nur teilweise vom Eröffnungsbeschluss umfasst sind, sind vor dem Prozessgericht fortzusetzen (§ 10 Abs. 7 KapMuG-RefE).

Eine Rechtsbeschwerde gegen den Musterentscheid kann nicht auf einen fehlerhaften Vorlage- oder Eröffnungsbeschluss gestützt werden (§ 21 Abs. 2 KapMuG-RefE).

IV. Reduzierung der Zahl der Verfahrensbeteiligten

Um die Zahl der Verfahrensbeteiligten am Musterverfahren zu reduzieren, sieht der Entwurf die Streichung des bisherigen zentralen § 8 KapMuG (Aussetzung) vor. Es soll keine Pflicht des Prozessgerichts mehr bestehen, alle anhängigen Verfahren, die von der Entscheidung über die Feststellungsziele abhängen, von Amts wegen auszusetzen.

Stattdessen sollen nur die Parteien am Musterverfahren teilnehmen, die entweder einen Musterverfahrensantrag oder einen Erweiterungsantrag gestellt haben (§§ 2 Abs. 1, 11 Abs. 1 KapMuG RefE). In diesen Fällen findet eine Unterbrechung des Ausgangsverfahrens von Amts wegen statt (§§ 6 Abs. 1, 11 Abs. 6 KapMuG RefE).

Das Prozessgericht verwirft den Musterverfahrensantrag nach § 3 Abs. 2 Nr. 1 KapMuG-RefE, soweit die Entscheidung des Rechtsstreits nicht von den geltend gemachten Feststellungszielen im Musterverfahren abhängt. Nach § 6 Abs. 2 KapMuG-RefE hat das Prozessgericht einzelne Ansprüche, die nicht vom Ergebnis des Musterverfahrens abhängen, in einem getrennten Prozess zu verhandeln, um diese Streitgegenstände zügig zu erledigen (vgl. RefE, S. 30).

Ein Erweiterungsantrag soll künftig binnen zwei Monaten nach Bekanntmachung des Eröffnungsbeschlusses gestellt werden. Die durch diese Einschränkung zu erwartende geringere Anzahl an Verfahrensbeteiligten und Feststellungszielen soll ebenfalls der Beschleunigung des Musterverfahrens dienen (RefE, S. 25 f., 33). Voraussetzung des Erweiterungsantrags ist u.a., dass die Entscheidung des Rechtsstreits von den Feststellungszielen im Musterverfahren abhängt.

Das derzeit in § 8 KapMuG zentrale Merkmal der „Abhängigkeit“ der Entscheidung des Rechtsstreits von den Feststellungszielen des Musterverfahrens soll also zukünftig beim Musterverfahrens- und Erweiterungsantrag weiterhin eine wichtige Rolle spielen. Im Unterschied zur derzeitigen Rechtslage sieht der Gesetzesentwurf allerdings vor, dass künftig vor allem das OLG eine vertiefte Sachprüfung vor Beginn des Musterverfahrens vorzunehmen hat, da es die Abhängigkeit der Entscheidung der Verfahren von den Feststellungszielen, insbesondere beim Erweiterungsantrag, prüfen muss. Aber auch beim Eröffnungsbeschluss muss das OLG die Abhängigkeit der Ausgangsverfahren von den Feststellungszielen prüfen (§ 10 Abs. 2 Nr. 3 KapMuG-RefE sowie RefE, S. 34).

Die höchstrichterliche Rechtsprechung stellt bislang eigentlich strenge Prüfungsanforderungen an die Aussetzungsvoraussetzungen, damit nur solche Ausgangsverfahren auf das KapMuG Musterverfahren ausgesetzt werden, bei denen die Entscheidung von den Feststellungszielen abhängt. Ist der geltend gemachte Klageanspruch unschlüssig oder die Klage sogar bereits unzulässig, müssen solche Verfahren durch klageabweisendes Urteil beendet werden; sie dürfen nicht ausgesetzt werden bis zum Abschluss des Musterverfahrens. Die Prüfung der Aussetzungsvoraussetzungen verlangt in der Praxis aber eine oftmals vertiefte Sachprüfung, die von den Prozessgerichten in der Vergangenheit oftmals gescheut wird.

Verfahren, die nicht vom Vorlagebeschluss oder der einmaligen Erweiterung des Musterverfahrens erfasst werden und deshalb nicht mehr von Amts wegen ausgesetzt werden (Wegfall § 8 KapMuG), sollen künftig daher nur auf Antrag einer Partei bis zum rechtskräftigen Abschluss des Musterverfahrens auszusetzen sein (§ 145 Abs. 5 ZPO-RefE). In diesen Fällen soll dann jedoch keine formelle Bindung an die (Tatsachen-)Feststellungen des Musterverfahrens bestehen (RefE, S. 43).

V. Sonstige Neuerungen und Übergangsregelungen

§ 1 Abs. 3 KapMuG-RefE regelt das Verhältnis von KapMuG zum Verbraucherrechtedurchsetzungsgesetz (VDuG). Beide Verfahren schließen sich nicht aus (RefE, S. 28). Ein KapMuG-Verfahren soll auch dann zulässig sein, wenn wegen desselben Sachverhalts eine Verbandsklage nach dem VDuG rechtshängig ist. Ein Anspruch, aus einem nach dem KapMuG unterbrochenen Verfahren, kann jedoch nicht zur Eintragung in das Verbandsklageregister angemeldet werden.

Auf Musterverfahren, die aus einem vor Inkrafttreten der Änderungen gestellten Musterverfahrensantrag herrühren, soll das KapMuG in seiner derzeitigen Fassung weiter Anwendung finden (§ 28 Abs. 2 KapMuG-RefE).

VI. Ausblick

Der Gesetzgebungsprozess zur Reformierung des KapMuG steht erst ganz am Anfang, jedoch sieht der Referentenentwurf bereits bedeutende Änderungen im künftigen KapMuG Verfahren vor.

Die angestrebte Verfahrensbeschleunigung kann aber ungeachtet der angestrebten Neuregelungen nur gelingen, wenn die Prozessgerichte angehalten werden, nur solche Verfahren auszusetzen, die zulässig sind und deren Entscheidung tatsächlich materiell-rechtlich von den Feststellungszielen abhängt. Dies ist in der bisherigen Praxis leider nicht immer gewährleistet. Zudem erscheint es empfehlenswert, die Zulässigkeitsvoraussetzungen für Musterverfahrensanträge (und jetzt Erweiterungsanträge) zu präzisieren und insbesondere das Kriterium der „Abhängigkeit“ näher zu regeln.

Insgesamt ist die Verlagerung der Zuständigkeit für das Prüfungsprogramm des KapMuG-Verfahrens auf das OLG durch die Gesetzesnovelle zu begrüßen. Es bleibt indes abzuwarten, ob diese Akzentverschiebung zu einer nachhaltigen Beschleunigung der KapMuG-Verfahren führt. Dies kann nur gelingen, wenn die mit KapMuG-Verfahren befassten Oberlandesgerichte das Prüfungsprogramm im Musterverfahren auf der Grundlage einer vertieften Sachprüfung vorgeben und die zentralen rechtlichen und tatsächlichen Fragestellungen, die in der Prozessserie zu klären sind, präzise herausarbeiten.

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