Mandanteninformation | 21.08.25
Zivilprozessualer Geheimnisschutz – erste Bilanz des neuen § 273a ZPO
Mit § 273a ZPO steht seit April 2025 ein neues Instrument zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen im Zivilprozess zur Verfügung. Parteien können vertrauliche Informationen gezielter als bisher absichern – ein Schritt, der die Öffentlichkeit der Rechtsprechung besser mit wirtschaftlichen Interessen austarieren soll.
Seit dem 1. April 2025 ist § 273a ZPO in Kraft, der einen verbesserten Schutz von Geschäftsgeheimnissen im Zivilprozess bewirken soll. Die Neuregelung ist Teil des Justizstandort-Stärkungsgesetzes1, mit dem der Justiz- und Wirtschaftsstandort Deutschland im Wettbewerb mit ausländischen Gerichten und der Schiedsgerichtsbarkeit attraktiver gemacht werden soll.
I. Geschäftsgeheimnisse im Zivilprozess
Rechtsstreitigkeiten vor deutschen staatlichen Gerichten sind grundsätzlich öffentlich, um dem rechtsstaatlichen Bedürfnis nach transparenter Rechtspflege Rechnung zu tragen. Das birgt für die Parteien das Risiko, dass vertrauliche Informationen und Geschäftsgeheimnisse, wie etwa Herstellungsverfahren, Geschäftsstrategien oder Unternehmensdaten, öffentlich werden, wenn sie zur wirksamen Rechtsverfolgung oder -verteidigung offengelegt werden (müssen). Die Parteien haben ein berechtigtes Interesse daran, dass solche vertraulichen Informationen weder der Gegenpartei noch der Öffentlichkeit (schrankenlos) zugänglich gemacht werden. Diesem Risiko kann einerseits begegnet werden, indem die Parteien sich darauf einigen, statt eines Gerichtsverfahrens ein Schiedsverfahren auszutragen und dieses vertraulich zu behandeln. Durch die Einführung des neuen § 273a ZPO möchte der Gesetzgeber nun auch für staatliche Verfahren vergleichbare Möglichkeiten schaffen.
II. Ausgangspunkt: Eingeschränkter Schutz von Geschäftsgeheimnissen im bisherigen Zivilprozess
Die bisherigen zivilprozessualen Regelungen zum Geheimnisschutz ermöglichten nach Auffassung des Gesetzgebers nur einen unzureichenden Ausgleich zwischen den Interessen des Geheimnisinhabers und denen des Prozessgegners und der Öffentlichkeit. Zwar gab es bereits vor Inkrafttreten des neuen § 273a ZPO gewisse Möglichkeiten, die Öffentlichkeit im Zivilprozess einzuschränken, wenn in der öffentlichen Verhandlung bestimmte Geschäfts- oder Betriebsgeheimnisse Verhandlungsgegenstand waren. Die bisherigen Regelungen ließen jedoch eine Reihe von Schutzlücken offen.
Bislang hatte die betroffene Partei insbesondere keinen Anspruch auf ein nichtöffentliches Verfahren. Bei der Entscheidung über den Ausschluss der Öffentlichkeit stand dem Gericht im Rahmen der allgemeinen, nicht auf den Schutz von Geschäftsgeheimnissen zugeschnittenen Bestimmungen des GVG ein weiter Ermessensspielraum zu, zumal diese Entscheidung in höherer Instanz nur eingeschränkt überprüfbar war. Zudem fanden die bisherigen Regelungen erst ab dem Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung Anwendung und nicht bereits ab der Einreichung der Klage- oder Antragsschrift, obwohl auch schon dort die Angabe sensibler Informationen erforderlich sein konnte. Die klagenden Geheimnisinhaber standen daher im Zweifelsfall vor der Wahl zwischen zwei Übeln: Um ihr Geschäftsgeheimnis zu schützen, konnten sie entsprechende Angaben in der Klage- oder Antragsschrift (oder der Klageerwiderung) und weiteren Schriftsätzen bewusst unterlassen. Das brachte jedoch die Gefahr mit sich, den Prozess zu verlieren, weil das Gericht die nicht oder verspätet vorgetragenen Tatsachen unberücksichtigt ließ.2 Andererseits konnten sie ihr Geschäftsgeheimnis preisgeben, um ihre Erfolgsaussichten im gerichtlichen Verfahren zu erhöhen – aber zugleich das Geschäftsgeheimnis durch Offenbarung zu verlieren.
Ferner erfassten die bisherigen prozessualen Geheimhaltungspflichten nicht die eigene Verwertung des im Prozess erlangten Wissens, so dass der Prozessgegner dieses Wissen später für eigene Zwecke nutzen konnte. Außerdem bestand die Gefahr des Bekanntwerdens, wenn Dritte von Akteneinsichtsrechten Gebrauch machten.
III. Lösungsansatz des Gesetzgebers (§ 273a ZPO)
Diese Schutzlücken will der Gesetzgeber durch § 273a ZPO beseitigen bzw. verringern. § 273a ZPO, der letztlich die zivilprozessualen Vorschriften zum Geheimnisschutz des Geschäftsgeheimnis-schutzgesetzes (GeschGehG) auf alle Zivilverfahren für anwendbar erklärt, ermöglicht es nun, dass das Gericht auf Antrag einer Partei potentielle Geschäftsgeheimnisse, die in dem Rechtsstreit behandelt werden, ganz oder teilweise als geheimhaltungsbedürftig einstuft. § 273a ZPO lautet wie folgt:
„Das Gericht kann auf Antrag einer Partei streitgegenständliche Informationen ganz oder teilweise als geheimhaltungsbedürftig einstufen, wenn diese ein Geschäftsgeheimnis nach § 2 Nummer 1 des Gesetzes zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen sein können; die §§ 16 bis 20 des Gesetzes zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen sind entsprechend anzuwenden.“
Zusammenfassend sind alle als Geschäftsgeheimnis eingestuften und in den Prozess eingeführten Informationen dann ab Klageerhebung und über den Abschluss des Verfahrens hinaus von den Parteien und ihren Vertretern vertraulich zu behandeln. Darüber hinaus hat das Gericht die Möglichkeit, den Zugang zu den geheimhaltungsbedürftigen Informationen zu beschränken und die Öffentlichkeit von der mündlichen Verhandlung auszuschließen. Hierauf soll im Folgenden näher eingegangen werden.
IV. Anwendungsbereich
Der neue § 273a ZPO gilt für alle Zivilverfahren, einschließlich arbeitsgerichtlicher Verfahren, und im gesamten Instanzenzug. In zeitlicher Hinsicht werden auch Verfahren erfasst, die bei Inkrafttreten der Norm am 1. April 2025 bereits anhängig waren.
Die Regelung ermöglicht es dem Gericht, auf Antrag einer Partei streitgegenständliche Informationen, die Gegenstand eines Geschäftsgeheimnisses im Sinne des § 2 Nr. 1 GeschGehG sein können, ganz oder teilweise als geheimhaltungsbedürftig einzustufen.
Sachlich erfasst sind damit nur Informationen, die nach dem Gesetz zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen (GeschGehG), als Geschäftsgeheimnis gelten können. Dies sind unabhängig von ihrem Gegenstand alle Informationen einer Partei, die (i) nicht allgemein bekannt oder ohne weiteres zugänglich sind und daher (ii) einen wirtschaftlichen Wert haben, (iii) durch angemessene Geheimhaltungsmaßnahmen geschützt werden und (iv) an deren Geheimhaltung ein berechtigtes Interesse besteht.
Praxishinweis: Wenn eine Partei im Prozess geltend machen will, dass eine Information als Geschäftsgeheimnis geschützt ist, muss sie insbesondere in der Lage sein, darzulegen, dass sie angemessene Geheimhaltungsmaßnahmen implementiert hat und unterhält. Diese können insbesondere technischer (z.B. Kryptographie, Zugangskontrollen), organisatorischer (z.B. Rollendefinition und Zugriffsrechte nach strengem „Need to know“-Prinzip) und rechtlicher (z.B. wirksame Vertraulichkeitsvereinbarungen) Natur sein. Etwaige Defizite in dieser Hinsicht sollten daher frühzeitig unter Einbindung qualifizierter rechtlicher Berater identifiziert und abgestellt werden.
V. Verfahren
Die Einstufung einer Information als geheimhaltungsbedürftig setzt einen Antrag beim Gericht der Hauptsache voraus, in dem der Antragsteller die betreffenden Informationen eindeutig bezeichnen muss. Der Antrag kann bereits mit der Klage- bzw. Antragsschrift gestellt werden („ab Anhängigkeit“, § 20 Abs. 1 GeschGehG).
Praxishinweis: Besteht die Besorgnis, dass in einem Rechtsstreit streitgegenständliche Informationen zur Sprache kommen könnten, die ganz oder teilweise als geheimhaltungsbedürftig einzustufen sind, sollte der Antrag nach § 273a ZPO so früh wie möglich (d.h. bereits mit der Klage- bzw. Antragsschrift) gestellt werden.
In diesem Zusammenhang kann beantragt werden, dass die Dokumente, die die als geheimhaltungsbedürftig gekennzeichneten Informationen enthalten, dem Gegner erst nach Erlass der Anordnung nach § 273a ZPO zugestellt werden. Damit kann der Antragsteller sicherstellen, dass sein Geheimnis erst offenbart wird, wenn es dem Geheimnisschutz unterliegt.
Praxishinweis: Um zu vermeiden, dass dem Gegner die als geheimhaltungsbedürftig angesehenen Informationen irrtümlich übermittelt werden, sollte stets beantragt werden, dass die Zustellung an die Gegenseite erst nach der gerichtlichen Einstufung der betreffenden Informationen als geheimhaltungsbedürftig erfolgen soll. Weiter sollten die geheimen Informationen idealerweise nicht im Antrag selbst erwähnt, sondern in einer Anlage näher bezeichnet sein. Da über den Antrag nach § 273a ZPO auch ohne Anhörung der anderen Partei entschieden werden kann (§ 20 Abs. 2 S. 1 GeschGehG), kann die Einbringung der geheimen Informationen mit guten Argumenten auch von der innerprozessualen Bedingung abhängig gemacht werden, dass das Gericht den beantragten „Geheimhaltungsbeschluss“ erlässt. Auf der Passivseite gilt erst recht, dass der betreffende Antrag vorsorglich und etwa während der laufenden Klageerwiderungsfrist selbstständig gestellt werden kann.
Das Gericht hat dem Antrag stattzugeben, wenn der Antragsteller glaubhaft gemacht hat, dass es sich bei der betreffenden Information um ein Geschäftsgeheimnis handeln kann. In diesem Zusammenhang reicht es aus, wenn das Gericht aufgrund der vorgetragenen Tatsachen und Beweismittel eine Einordnung als Geschäftsgeheimnis für überwiegend wahrscheinlich hält. Wird der Antrag zurückgewiesen, so steht dem Antragsteller gegen die Entscheidung eines Amts- oder Landgerichts die sofortige Beschwerde zu. Zur Wahrung des Geheimnisschutzes ist der Antragsgegner an diesem Verfahrensabschnitt nicht zu beteiligen.
VI. Rechtsfolgen
Auf der Rechtsfolgenseite knüpft der neue § 273a ZPO an die Schutzvorschriften des GeschGehG an und erklärt sie für den Zivilprozess für anwendbar. Die Prozessbeteiligten an einem Rechtsstreit sind demnach zu Folgendem verpflichtet:
- Die als geheimhaltungsbedürftig eingestuften Informationen dürfen außerhalb des gerichtlichen Verfahrens weder verwertet noch offenbart werden. Diese Verpflichtung besteht grundsätzlich auch nach Beendigung des Verfahrens fort.
- Allerdings ist die Weitergabe zu Prozesszwecken im anhängigen Rechtsstreit zulässig, sodass Prozessvertreter die Informationen unter Hinweis auf das Vertraulichkeitsgebot grundsätzlich an die vertretene Partei weitergeben dürfen.
- Bei Zuwiderhandlungen kann das Gericht auf Antrag einer Partei ein Ordnungsgeld bis 100.000 EUR oder Ordnungshaft von bis zu sechs Monaten festsetzen und sofort vollstrecken.
Das Gericht muss folgende Maßnahmen zum Geheimnisschutz treffen:
- Das Gericht hat sicherzustellen, dass Dritten, die ein Recht auf Akteneinsicht haben, nur ein Akteninhalt zur Verfügung gestellt wird, in dem die Geschäftsgeheimnisse enthaltenden Passagen unkenntlich gemacht worden sind.
- Das Gericht kann den Zugang zu Dokumenten, die Geschäftsgeheimnisse enthalten, ganz oder teilweise auf einen bestimmten Kreis zuverlässiger Personen beschränken.
- Der Zugang zur mündlichen Verhandlung, in der Geschäftsgeheimnisse offenbart werden können, sowie zur Aufzeichnung oder Niederschrift der mündlichen Verhandlung kann ebenfalls auf einen bestimmten Kreis zuverlässiger Personen beschränkt werden.
VII. Fazit
Die Einführung des neuen § 273a ZPO bringt gegenüber der bisherigen Rechtslage durchaus eine Verbesserung des Geheimnisschutzes im Zivilprozess, insbesondere weil die Verwertungs- und Offenbarungsverbote bereits in einem frühen Verfahrensstadium eingreifen und eine Zurückweisung des Antrags grundsätzlich gerichtlich überprüft werden kann. Ob der Gesetzgeber mit dieser Norm sein Ziel, die ordentliche Gerichtsbarkeit gegenüber der Schiedsgerichtsbarkeit nachhaltig zu stärken, erreichen kann, bleibt indes abzuwarten, da sich der Schutz auf Geschäftsgeheimnisse beschränkt und damit keine umfassende Vertraulichkeit des gesamten Verfahrens gewährleistet ist. Insbesondere fehlt es an einem zwingenden „in camera“-Verfahren, sodass nur das Gericht und die (zur Verschwiegenheit verpflichteten) Prozessbevollmächtigten Zugang zu den geheimen Informationen der Gegenseite erhält.
[1] Gesetz zur Stärkung des Justizstandortes Deutschland durch Einführung von Commercial Courts und der Gerichtssprache Englisch in der Zivilgerichtsbarkeit (Justizstandort-Stärkungsgesetz) vom 7. Oktober 2024 (BGBl. 2024 I Nr. 302, Link). Vgl. die vorherigen Mandanteninformationen Englischsprachige Wirtschaftsprozesse in Deutschland: Commercial-Courts-Gesetz tritt in Kraft (2. April 2025) sowie BMJ legt Referentenentwurf zur Modernisierung des Schiedsverfahrensrechts vor (4. März 2024).
[2]
Prominentes Beispiel: LG München I, 20.12.2018 – 7 O 10496/17, BeckRS 2018, 33572 – Qualcomm/Apple.
Diese Mandanteninformation beinhaltet lediglich eine unverbindliche Übersicht über das in ihr adressierte Themengebiet. Sie ersetzt keine rechtliche Beratung. Als Ansprechpartner zu dieser Mandanteninformation und zu Ihrer Beratung stehen gerne zur Verfügung:
Prof. Dr. Ben Steinbrück, MJur (Oxford)
Alexander Stolz, LL.M. (Dresden / Exeter)