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BGH: Keine Indizwirkung für den Deckungsausschluss in der D&O-Versicherung

In einer wegweisenden Entscheidung vom 19. November 2025 (Az.: BGH IV ZR 66/25) hat sich der Bundesgerichtshof zu einer seit Jahren offenen Fragestellung zum Deckungseinwand der wissentlichen Pflichtverletzung positioniert.

Werden Geschäftsleiter vom Insolvenzverwalter ihres Unternehmens auf Ersatz für masseschmälernde Zahlungen in Anspruch genommen (§ 64 GmbHG a.F., § 15b InsO n.F.), obliegt es zukünftig der D&O-Versicherung, eine Wissentlichkeit dieser Pflichtverletzung nach allgemeinen Grundsätzen nachzuweisen, möchte sie sich auf einen Deckungsausschluss berufen. Bisher kam den D&O-Versicherern eine Beweiserleichterung zu Gute: Sofern Wissentlichkeit in Bezug auf eine Kardinalpflichtverletzung, der Verletzung der rechtzeitigen Stellung des Insolvenzantrags, angenommen werden konnte, galt eine Indizwirkung auch für eine Wissentlichkeit des Zahlungsverbots. Damit oblag es bisher grundsätzlich der insoweit darlegungs- und beweisbelasteten Geschäftsführung, diese Vermutung der Wissentlichkeit zu entkräften.

Der Bundesgerichtshof hat dieser pauschalen Indizwirkung nun ausdrücklich eine Absage erteilt und die Position von Geschäftsführern gegenüber Versicherern signifikant gestärkt.

I. Hintergrund und Bedeutung der Entscheidung

Darlegungs- und beweispflichtig für das Vorliegen eines Deckungsausschlusses in der D&O-Versicherung ist – allgemeinen Grundsätzen entsprechend – der Versicherer. Wie noch in der Vorinstanz vom OLG Frankfurt a. Main (Az.: 7 U 134/23) bestätigt, wurde bisher bei einer Verletzung grundlegender Pflichten eines Geschäftsführers, sog. „Kardinalpflichten“ auch ohne die Darlegung weiterer Anknüpfungstatsachen widerleglich vermutet, dass die Verletzung wissentlich erfolgt ist. Zur Begründung wurde angeführt, dass die Kenntnis und Beachtung der Kardinalpflichten bei jedem Geschäftsleiter vorausgesetzt werden dürfe. Im konkreten Fall leitete das OLG Frankfurt die Wissentlichkeit dieser Kardinalpflichtverletzung aus der Pflicht ab, dass sich ein Geschäftsleiter stets über die Liquidität seines Unternehmens vergewissern müsse.

Die Rechtsprechung ging jedoch noch einen Schritt weiter und schloss aus dieser wissentlichen Kardinalpflichtverletzung, dass auch die Veranlassung masseschmälernder Zahlungen wissentlich begangen worden sein musste. Die Verletzung des § 64 S. 1 GmbHG a.F. (§ 15b InsO n.F.) sei als unmittelbare Folge der fehlenden Stellung eines Insolvenzantrags zu sehen.

Dieser pauschale Rückschluss wurde von einigen Stimmen in der Literatur kritisiert und stattdessen eine Einzelfallbetrachtung gefordert. Der Bundesgerichtshof ist dem mit seiner Entscheidung gefolgt.

II. Sachverhalt

Dem von dem Bundesgerichtshof zu entscheidenden Fall lag der Sachverhalt zugrunde, dass der alleinige Geschäftsführer einer GmbH erfolgreich vom Insolvenzverwalter nach § 64 S. 1 GmbHG a.F. (§ 15b InsO n.F.) in Anspruch genommen wurde. Gegen den Geschäftsführer erging rechtskräftiges Versäumnisurteil. Der Geschäftsführer war versicherte Person einer D&O-Versicherung, in deren Versicherungsbedingungen der nachfolgende Haftungsausschluss enthalten war: Ausgeschlossen vom Versicherungsschutz sind Haftpflichtansprüche wegen vorsätzlicher Schadenverursachung oder durch wissentliches Abweichen von Gesetz, Vorschrift, Beschluss, Vollmacht oder Weisung oder durch sonstige wissentliche Pflichtverletzung durch eine versicherte Person.

Der Insolvenzverwalter pfändete aus dem erwirkten Titel den Anspruch des Geschäftsführers auf Freistellung von Geschäftsführerhaftungsansprüchen gegen die D&O-Versicherung. Im sich anschließenden Deckungsstreit erhob der Insolvenzverwalter sodann Zahlungsklage gegen den Versicherer. Der Klage trat der Versicherer mit dem Einwand wissentlicher Pflichtverletzung bzw. vorsätzlicher Schadenverursachung entgegen.

Das Landgericht hat den Versicherer zur Zahlung verurteilt und eine Deckungspflicht angenommen. Das Oberlandesgericht hat in zweiter Instanz der Berufung des Versicherers stattgegeben und die Klage des Insolvenzverwalters abgewiesen. Zur Begründung führte das Oberlandesgericht an, der Versicherungsschutz sei aufgrund einer vorsätzlichen Schadensverursachung nach der oben dargestellten Ausschlussklausel ausgeschlossen. Das Oberlandesgericht stützte sich hierzu auf die bislang geläufige Annahme, die Kenntnis der Insolvenzreife bzw. die wissentliche Verletzung der Insolvenzantragspflicht indiziere zugleich die wissentliche Verletzung des Zahlungsverbots nach § 64 GmbHG a.F. Der Insolvenzverwalter wandte sich gegen diese Entscheidung und erwirkte das beigefügte Urteil des Bundesgerichtshofs.

III. Zu den Entscheidungsgründen

Der Bundesgerichtshof führt aus, dass sich die für den Haftungsausschluss erforderliche Kenntnis konkret auf die Pflichtverletzung beziehen müsse (dazu 1.) und es für eine solche Wissentlichkeit der Pflichtverletzung an entsprechenden Feststellungen fehle, da das Oberlandesgericht unzutreffend von einer Indizwirkung ausgegangen sei (dazu 2.). Im Ergebnis lehnte der Bundesgerichtshof die Voraussetzungen des oben dargestellten Haftungsausschlusses ab und verwies das Verfahren an das Oberlandesgericht zurück.

1. Haftungsausschluss bezieht sich auf Wissentlichkeit der Pflichtverletzung

Es ergebe sich aus der Auslegung des Haftungsausschlusses der Versicherungsbedingungen, dass nur dann kein Versicherungsschutz bestehe, wenn die konkret maßgebliche haftungsbegründende Pflichtverletzung wissentlich begangen worden sei.

  • Der Bundesgerichtshof betont, dass Risikoausschlussklauseln stets eng auszulegen seien und stellt hierzu auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse ab. Der enge Auslegungsmaßstab gelte insbesondere dann, wenn Dritte als versicherte Personen in den Schutzbereich der Versicherung einbezogen werden (wie dies bei einer D&O-Versicherung regelmäßig der Fall ist). Eine erweiternde Auslegung, durch die ein Haftungsausschluss auch bei einer wissentlichen Verletzung anderer Pflichten greife, sei daher nicht zuzulassen.
  • Zudem ergebe sich aus Wortlaut und Systematik, dass der Haftungsausschluss sich auf die Definition des Versicherungsfalles beziehe – und gerade diejenigen Versicherungsfälle ausnehmen solle, die wissentlich begangen wurden.

2. Keine Indizwirkung einer Verletzung des Zahlungsverbots

Nach den vorstehenden Grundsätzen kam es für das Vorliegen eines Haftungsausschlusses darauf an, ob die Veranlassung verbotener Zahlungen während der Insolvenzreife wissentlich erfolgte. Die Feststellung der Insolvenzreife und/oder der wissentlichen Verletzung der Insolvenzantragspflicht genügt nach Annahme des Bundesgerichtshofs aber nicht, um eine wissentliche Verletzung des Zahlungsverbots anzunehmen.

  • Diesbezüglich differenziert der Bundesgerichtshof zwischen der Kenntnis eines Geschäftsführers von der Insolvenzreife bzw. der diesbezüglichen Insolvenzantragspflicht als solcher und einer Verletzung des § 64 GmbHG a. F: Denn trotz Insolvenzreife sei zu berücksichtigen, dass Zahlungen, die mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes vereinbar seien, weiterhin veranlasst werden dürften. Ein pauschaler Rückschluss von der Insolvenzreife auf ein ausnahmsloses Zahlungsverbot – und damit die Annahme automatischer Kenntnis des Geschäftsführers über die Pflichtwidrigkeit von Zahlungen – sei somit nicht angezeigt. Es bedürfe vielmehr einer Prüfung jeder gesonderten Zahlung durch den Geschäftsführer.
  • Aus einer derartigen wissentlichen Verletzung der Insolvenzantragspflicht ergebe sich gleichsam nicht automatisch eine Masseschmälerung. Der Bundesgerichtshof stellt heraus, dass die aktive Vornahme verbotener Zahlungen nicht damit gleichzusetzen sei, dass der Geschäftsführer zu spät auf vorläufige masseschützende Maßnahmen des Insolvenzgerichts hinwirke.

Der Bundesgerichtshof verwies das Verfahren nach diesen Feststellungen zum Oberlandesgericht zurück. Unter Zugrundelegung der bisher angenommenen Indizwirkung der Kenntnis von der Insolvenzreife auf die Kenntnis des Zahlungsverbots hatte das Berufungsgericht keine Feststellungen zum Vorsatz des Geschäftsführers getroffen, die nun noch nachzuholen sein werden. Nach dem konkreten Haftungsausschluss sei positive Kenntnis des Geschäftsführers erforderlich, und nicht bloß bedingter Vorsatz.

3. Einordnung und praktische Hinweise

Die Entscheidung hat weitreichende Konsequenzen für die Praxis: Berufen sich D&O-Versicherer künftig auf einen Deckungsausschluss wegen Wissentlichkeit, müssen sie damit rechnen, darlegen und beweisen zu müssen, dass der Geschäftsführer bei Vornahme von Zahlungen nicht nur Kenntnis vom Eintritt der materiellen Insolvenzreife, sondern auch Kenntnis von dem konkreten Verbot einer Zahlung hatte. Im Rahmen des Deckungsprozesses wird von entscheidender Bedeutung sein, ob konkrete Anhaltspunkte für eine positive Kenntnis der versicherten Person von dem Verbot einzelner Zahlungen bestand – und nicht (mehr) lediglich, ob die versicherte Person Kenntnis von der Insolvenzantragspflicht hatte.

Um dieser Beweislast zu genügen, wird künftig schon im Vorfeld eine vertiefte Sachverhaltsaufarbeitung erforderlich sein, um die Interessen der Versicherer im Deckungsverhältnis zu wahren. Dies gilt sowohl für die betriebswirtschaftlichen Grundlagen der Insolvenzantragsreife als auch für die individuellen Kenntnis- und Entscheidungsprozesse auf der Geschäftsführungsebene.


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